Samstag, August 24, 2019

RETRO

Die Grundlage ist geschaffen. Das Dienstfahrrad steht. Moment... das WAS? Genau, ich habe mir schon wieder ein Bike gekauft. Eines das jeder Grundphilosophie meiner bisherigen Käufe diametral entgegen steht. Das Bike ist - und das war die Grundvoraussetzung, da es unauffällig vor der Arbeit stehen soll und der Verlust im Falle einer Entwendung nur bedingt schmerzen sollte - vor allem eines: günstig. Ich habe dem zukünftigen Einsatzzweck entsprechend aktiv nach einem Bike gesucht, das zwar schick ist, fahrbar ist und bleibt, wartbar ist, dabei aber extrem wenig kostet und das Fahren nicht unmittelbar das Bedürfnis senkt, überhaupt auf dem Fahrrad zu sitzen. Ein weiteres Kriterium war, dass es 26-Zoll-Laufräder hat, da ich aus früheren, rennradlosen Zeiten noch Slickreifen (die alten Schwalbe Kojak Drahtreifen in 2") für reine Asphaltfahrten rumliegen hatte und die gerne montieren wollte. Ein Mountainbike also sollte es werden. Allerdings eines, das simpel genug ist, um dauerhaft pflegeleicht zu bleiben. Das schließt natürlich Federgabel & Co. aus. Eigentlich schließt es auch Kettenschaltungen aus. Aber angemessene Nabenschaltungen sind auch gleich wieder sehr viel teuer oder bieten keine sinnvolle Übersetzung. Schön, jedoch kein unbedingtes Muss, wäre - zumal gut mit einem niedrigen Preis vereinbar - ein Hauch Nostalgie. Vorausgesetzt, es ist in einem annehmbaren Zustand, also keine "üble Rostlaube" und es lassen sich auch 2020 und später noch Ersatzteile dafür besorgen.


Wow, eine lange Liste von mal mehr mal weniger leicht erfüllbaren Anforderungen. Entsprechend lange schwelte nun der Gedanke, ein ebensolches Bike zu kaufen. Immer mal wieder landete ein mehr oder weniger gut geeignetes Bike auf der Beobachtungsliste von eBay Kleinanzeigen. Und fast immer habe ich mit einem Gefühl der Erleichterung beobachtet, wie andere sich dessen erbarmten. Bis... ja, bis eines Tages das hochglanzpolierte Peugeot Stahlrahmen-Rad, Modell "Explorer 200", den Rest der Suchergebnisse wie ein Quasar seine Umgebung überstrahlte. Viel 90er-Jahre-Charme, die Eleganz eines klassischen Stahl-Diamantrahmens der Mountainbikes jener noch gut in Erinnerung verankerter Zeit, offensichtlich richtig gut gepflegt, eine 3x7 Shimano-Kettenschaltung und das ganze Paket für einen, wie ich fand, unschlagbaren Preis von 111 Euro. Für mich war klar, dass ich das Bike haben wollte. Und das schon, bevor ich dessen guten Zustand auch live verifizieren durfte. Und für letzteres musste ich lediglich nach Schweinfurt fahren. Das war machbar.

Natürlich hatte ich schon bei dem bloßen Gedanken daran, das Bike irgendwann besitzen zu können, gewisse Ideen, was ich daran umbauen würde. Dabei wollte ich zwar umsichtig genug agieren, um den nostalgischen Eindruck zu erhalten. Natürlich wäre auch die Montage einer feineren Übersetzung und 2010er Shimano-Komponenten o.ä. möglich gewesen. Aber genau das wollte ich eben nicht. Die Montage einer Scheibenbremse wäre mangels Vorrichtungen am Rahmen auch ausgeschlossen gewesen. Aber mit Teilen der 90er Jahre wäre einiges machbar - eBay & Co. sei dank.

Rote Schalt- und Bremszüge
Eine kleine Reparatur war, trotz vorbildlicher Pflege des Bikes durch den gewissenhaften Vorbesitzer, unumgänglich: Einer der Schalthebel der Schalt-/Bremshebelkombination (Shimano STX) rastete nicht mehr zuverlässig. Das schnell besorgte, ebenfalls gebrauchte Ersatzteil, eine wunderschöne 3x7-fach-Schalt-/Bremshebelkombi aus der STX RC Serie (vermutlich späte 1990er Jahre) war Grundlage für eine Reihe weiterer Umbauten, deren Tenor ein bestimmtes Farbbild prägen sollte. Auch der Vorbesitzer hat schon diverse Rot-Elemente verbaut, die das im Grunde Chromstahl/Schwarz-dominierte Bike interessant aufpeppte. Die Vorlage habe ich nur allzu gerne aufgegriffen und die V-Brakes der alten Generation (Galgenzug über entsprechende Gegenhalter am Rahmen) durch knallrote Shimano DX V-Brakes der folgenden Generationen (nach dem System, das auch heute noch so gebaut wird) ersetzt, die zudem noch den Vorteil der schöneren Montage der geschraubten statt der bislang montierten geklemmten Bremsschuhe mitbrachte. Letztere stammen, der besseren Performance wegen, von KoolStop.
STX RC Schalt-Bremshebel-Kombi
Da ich außerdem von einem gewissen Verschleiß der Schalt- und Bremszüge ausgegangen bin, wurden diese ebenfalls getauscht. Wenig überraschend, dass die Zughüllen rot (und wieder mal der Performance wegen von Jagwire) sein mussten. :) Das Cockpit musste auch ein wenig umgestaltet werden: die seltsam
rote Alu-Ventilkappen
gummierten Lenkergriffe, vermutlich schon neu ein haptisches Erlebnis, auf das man leicht verzichten könnte, erst recht in gründlich genutztem Zustand, mussten roten Schraub-Moosgummigriffen von Richey (WCS) weichen. Dazu kurze Lenkerhörnchen und Lenker-Endkappen aus Alu, beides ebenfalls rot. Einen bereits vorhandenen Rotstich an anderer Stelle habe ich allerdings entfernt. Weniger der Farbe wegen als vielmehr wegen des missglückten Versuches, das Rot durch handwerklich schlechtes Foliieren der Sattelstütze, die dadurch außerdem nicht mehr gesenkt werden konnte und nur mit noch mehr visuellen Abstrichen hätte herausgezogen werden können. Der Austausch gegen eine schlichte silberne Sattelstütze brachte mir zudem einen deutlich besseren 2-Schrauben-Montagemechanismus für den Sattel ein. Fast schon homöopathisch wirkt dagegen das rote Extra, das die kleinen Alu-Ventilkappen beitragen.

Kockpit mit Tune-Vorbau
Ein kleines bisschen Modernisierung habe ich dem Bike dann am Ende doch noch gegönnt: die damals alternativlosen Klemmvorbauten hatten zwar den Vorteil, ohne Spacer o.ä. höhenverstellbar zu sein. Dafür war man eher eingeschränkt, was die Vorbaulänge anging und die Montage des Lenkers wurde zu allermeist über eine einzige Schraube bewerkstelligt. Mir ist auch nicht bekannt, dass ein solcher Vorbau je aus Aluminium gefertigt wurde. Kurz: ich wollte einen Aheadset-Vorbau. Natürlich ohne dafür die wunderschöne, optisch nahtlos ins Bike integrierte Starrgabel zu tauschen. Glücklicherweise gibt es entsprechende Adapter, über die das problemlos machbar ist, wenngleich das Systemgewicht ganz sicher dadurch noch einmal ein paar Gramm zugelegt hat. Selbstverständlich habe ich mir die Chance, damit auf einen roten Vorbau zu kommen, nicht entgehen lassen. :D Entgegen dem "maximal günstig"-Prinzip ist es ein 120mm langer Tune-Vorbau geworden. In Kombination mit dem relativ kurzen Steuerrohr ergibt das eine recht sportliche Sitzposition.

Wie eingangs erwähnt sollte der Einsatzzweck ja im Wesentlichen Fahrten zur Arbeit und zurück sein. Auch die weiteren Fahrten sollten Zweckfahrten sein. Ein bisschen wie der PKW, der nötig wird, weil Formel1-Auto und Rallywagen nicht mehr alle Einsatzzwecke abzudecken vermögen. Also wären Clickpedale an dem Bike natürlich vollkommen fehlplatziert gewesen. Ebenso ein Sportsattel. Klassische Bärentatzen und der vormontierte bequeme Sattel werden ihren Zweck bestens erfüllen. In der Planung steht außerdem eine Beleuchtung, die es mir erlaubt, auch an "kürzeren" Tagen zur Arbeit zu fahren, sollte mir die Temperatur nicht zuwider sein. Einen Gepäckträger indes braucht dieses Bike nicht. Was ich zu transportieren habe, kommt in einen Rucksack. Fertig!

Das komplette Ding - nach diversen Modifikationen

Sollte ich nun bis hierher den Eindruck vermittelt haben, das Auto würde demnächst in der Garage vergammeln und allenfalls zu Zwecken des Transportes sperriger Güter oder anderer Personen in die Aktivität zurück gezwungen, lasst mich euch eben mal schnell desillusionieren. Ich war schon immer eher der Sonnenanbeter als der Matsch-Schlucker. Das wird sich auch mit diesem Bike nur nach schlechter Wettervorhersage oder schlechtem Timing ändern. Soll heißen, wenn die Vorhersage schönstes Wetter verspricht (und ich zudem nicht schlecht drauf oder spät dran bin), werde ich spontan umsatteln, damit endlich auch ohne Trainingsprogramm etwas für meine Fitness tun und so ganz nebenbei auch den einen oder anderen Milliliter Kraftstoff einsparen. Außerdem werden diese Fahrten voraussichtlich nicht in irgendwelchen Statistiken auftauchen. Dazu habe ich bewusst auf einen Radcomputer verzichtet. Ich erinnere mich auf die Weise an meine Bike-Anfänge, als Biken spontan und ohne Trainingsziele und -metriken passierte. Einfach nur fahren des Fahrens wegen. Irgendwie auch ein Stückchen Nostalgie...

2 Comments:

Blogger Carbonracer said...

Inzwischen habe ich knapp 400km mit dem Bike zurückgelegt. Wie geplant, hauptsächlich zur Arbeit und zurück. Klappt soweit wunderbar. Allerdings habe ich inzwischen die im Atikel erwähnten Kojak-Reifen gegen leichtere, schmalere und damit signifikant leichter rollende Reifen, die 1,6 Zoll schmalen Schwalbe Marathon Supreme, ersetzt. Außerdem habe ich die mit normalen Schuhen unangenehm drückenden Bärentatzen durch simple (aber rote! :) ) und kaum größere Flatpedals ersetzt. Aus in dem Artikel erwähnten Gründen und weil ich keine Lust habe, in dem ohnehin viel zu schweren Rucksack auch noch Schuhe unterzubringen, kamen auch hier keine Clickpedale infrage.

Die ersten Dienstfahrten bin ich sogar meinem Vorhaben treu geblieben, keine Metriken der Fahrten aufzuzeichnen. Dann aber wollte ich wissen, wie lange ich denn so brauche, wie lang tatsächlich die die Distanz der jew. Strecken ist. Es kam, wie's kommen musste: der Statistiker in mir hat zwar immer noch keinen Radcomputer montiert, wirft aber nun beinahe jedes Mal die Tourenaufzeichnung der Strava-App auf dem Smartphone an, das ich ja eh immer dabei hab. Ich musste ohnehin inzwischen feststellen, dass diese Fahrten deutlich mehr Training darstellen, als ich erwartet habe. Also sollten sie auch einen Platz in meinem Trainingstagebuch einnehmen.

9/22/2019 6:57 PM  
Blogger Karin said...

Das Rad ist ja süß :-). Finde ich gut, dass du mit dem Fahrrad zur Arbeit fährst. Glückwunsch zu deiner Ausdauer, was das Radeln angeht.

9/26/2019 7:13 PM  

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